60 Jahre für den Verkehr – die STUVA hat Geburtstag
Alles begann am 5. Januar 1959. An diesem Tag stellte der Tengelmann-Konzern-Gründer Karl Schmitz-Scholl im Rotary-Club in Mühlheim an der Ruhr seine Vision eines unterirdischen Bahntunnelsystems vor, das sich durch das gesamte Ruhrgebiet und Teile des Rheinlandes ziehen sollte. So sollte der drohende Verkehrsinfarkt in den Städten vermieden werden. Und gleichzeitig könnte das Know-How der Bergleute der niedergehenden Kohlezechen genutzt werden, um diese neuartige Infrastruktur zu schaffen. Vor dem Hintergrund des schwelenden Kalten-Krieges war darüber hinaus geplant, mit den neuen unterirdischen Bauwerken den Bevölkerungsschutz vor atomarer Bedrohung zu verbinden. Ein wahrhaftig gigantisches Vorhaben. Doch Schmitz-Scholl war nicht nur Visionär, sondern auch Kaufmann und Realist und so schlug er bereits bei seinem Vortrag vor, eine „Studiengesellschaft“ zu gründen, die diesen tollkühnen Plan verwirklichen sollte. Und um seiner Idee den nötigen Anfangsschwung zu geben stellte Schmitz-Scholl die Initiativfinanzierung aus seinen eigenen Mitteln zur Verfügung. Das war die Geburtsstunde der STUVA, die mit der Gründungssitzung am 15.06.1960 besiegelt wurde.
Ein Teil der Anfangsfinanzierung floss in einen im Gründungsjahr von der STUVA ins Leben gerufenen Ideenwettbewerb zum Bau einer unterirdischen zentralen Kreuzungsstation und einer Außenhaltestelle. Der Wettbewerb stieß wie erhofft auf großes öffentliches Interesse und brachte der Bevölkerung das Unterirdische Bauen näher. Gleichzeitig wurde damit auch die STUVA schlagartig in ganz Deutschland und darüber hinaus bekannt.
Der dann folgende Aufstieg der STUVA zu einer international anerkannten Institution auf dem Verkehrssektor ist vor allem dem ersten (und damals quasi einzigen) Mitarbeiter von 1960 zu verdanken. Der damals 25-jährige frischgebackene Diplom-Ingenieur und das heutige Ehrenmitglied des Vorstandes Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Günter Girnau setzte alles daran, die „nur autogerechte Stadt“ zu verhindern. Dazu musste er zunächst den Deutschen Städtetag von der Wichtigkeit einer problemorientierten Verkehrsplanung überzeugen, Gelder für entsprechende Forschungsvorhaben akquirieren und neue fähige Mitarbeiter einstellen.
Zum Gedankenaustausch mit anderen Verkehrsforschern und nicht zuletzt zur Steigerung des eigenen Bekanntheitsgrades veranstaltet die STUVA seit ihrer Gründung erfolgreich Jahrestreffen. Schon 1963 nahmen rund 150 Fachleute an einer solchen Tagung teil. Die seit 1969 alle zwei Jahre ausgetragene „STUVA-Tagung“ hat sich nach und nach zu der weltweit wichtigsten Veranstaltung ihrer Art entwickelt. Bei der letzten Tagung 2019 in Frankfurt waren über 3.800 Fachleute vor Ort. Es sind regelmäßig drei Tage, in denen sich alles um den Tunnelbau und Tunnelbetrieb dreht. Über 60 simultan ins Englische übersetzte Fachvorträge in zwei parallelen Sessions, rund 200 ausstellende Branchenfirmen, die auf der gleichzeitig stattfindenden STUVA-Expo ihre Dienstleistungen und neuesten Produkte vorstellen und ein versammeltes internationales Fachpublikum aus Tunnelbau und Tunnelbetrieb, das seinesgleichen sucht.
Seit sechs Jahrzehnten als gemeinnütziger Verein anerkannt, blickt die STUVA auf eine bemerkenswert positive Entwicklung zurück. Als neutraler Partner bringt sie alle wichtigen Instanzen für den Tunnelbau, den Tunnelbetrieb und sonstige Verkehrsanlagen zusammen: Derzeit hat sie rund 260 korporative Mitglieder, darunter viele U-Bahn-bauende und -betreibende Städte, Hochschulen, Verbände, Verkehrsbetriebe, Ingenieurbüros sowie Baufirmen und Zulieferer.
Die STUVA forscht, prüft und berät auf allen Gebieten des innerstädtischen Verkehrs und des unterirdischen Bauens. Mit ihren drei Abteilungen „Verkehr & Umwelt“, „Tunnelbau & Bautechnik“ sowie „Brandschutz & Sicherheit“ ist die STUVA breit aufgestellt. Eines der zahlreichen jüngeren Forschungsprojekte ist das von der STUVA geleitete interdisziplinäre Forschungsprojekt „InREAKT – integrierte Hilfe-Reaktionsketten zur Erhöhung der Sicherheit des ÖPNV“. Kerngedanke von InREAKT ist es, durch den Aufbau von integrierten Hilfe-Reaktionsketten für ein verbessertes Notfall-Management im ÖPNV sowie ein gesteigertes Sicherheitsempfinden der Fahrgäste zu sorgen. Für das dazu im InREAKT-Projekt entwickelte IT-gestützte System wurden die Forscher 2017 sogar mit dem Deutschen Mobilitätspreis des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ ausgezeichnet.
Da mit steigendem Bekanntheitsgrad der STUVA die Anfragen aus der freien Wirtschaft immer häufiger wurden, hat sich die STUVA 1996 dazu entschlossen, die STUVAtec GmbH als 100%-ige Tochter für die Bearbeitung von Aufträgen ohne gemeinnützigen Hintergrund ins Leben zu rufen. Diese Tochter hat sich seitdem prächtig entwickelt: Seit ihrer Gründung hat die STUVAtec GmbH die meisten U-Bahnneubauten in Deutschland und zahlreiche Projekte im Ausland brandschutztechnisch betreut. Sie gehört zum exklusiven Pool der Experten, die vom TÜV Nord für die Deutsche Bahn AG (DB AG) als Ersteller von Brandschutzkonzepten zertifiziert sind. Von ihr werden Räumungsberechnungen genauso durchgeführt wie Verrauchungsberechnungen.
Darüber hinaus arbeitet auch die STUVAtec an zahlreichen Forschungsprojekten. So zeichnete sie maßgeblich verantwortlich für die im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums durchgeführten Forschungsvorhaben „Notfallszenarien für Tunnelanlagen des schienengebundenen ÖPNV und deren Bewältigung“ sowie „Risikoanalyse von Brandereignissen in schienengebundenen ÖPNV-Tunnelanlagen“. Für die Deutsche Bahn hat die STUVAtec die „DB-Bemessungsbrände für S-Bahnen und den Gemischten Reisezugverkehr“ mitentwickelt.
Seit 2017 erbringt die STUVAtec nicht mehr nur für den unterirdischen Brandschutz Sachverständigen- und Fachplanerleistungen, sondern ist auch im Hochbau der richtige Ansprechpartner für den vorbeugenden Brandschutz.
Von dem „Ein-Mann-Betrieb“ im Jahre 1960 haben sich STUVA und STUVAtec zu einem hochspezialisierten Wissenskonzern entwickelt. Den mittlerweile rund 20 festangestellten Mitarbeitern stehen für die Forschung gleich drei eigene Versuchshallen mit über 2.000 Quadratmetern Grundfläche und teils einzigartigen Großversuchseinrichtungen zur Verfügung, um gemeinsam mit Forschungspartnern und Auftraggebern an dem Ziel einer lebenswerten und zugänglichen Verkehrsinfrastruktur für Alle zu arbeiten. So verfügt die STUVA über eine sogenannte Rundlaufanlage, in der bei Temperaturen zwischen -30 °C und +60 °C Fahrbahnbeläge und -einbauten getestet werden können. Mit einer Achslast von bis zu 10 Tonnen und einer maximalen Geschwindigkeit von 100 km/h kann hier beinahe jede beliebige Verkehrsbelastung simuliert werden.
Zur Verfolgung Ihrer satzungsgemäßen Ziele ist die STUVA heute sowohl national als auch international bestens vernetzt. Schon in den 70er Jahren wählte der neu gegründete Deutsche Ausschuss für unterirdisches Bauen (DAUB) Günter Girnau zu seinem ersten Geschäftsführer. Die Geschäftsstelle des DAUB befindet sich seitdem in den Räumen der STUVA. Auch bei der Gründung des weltweiten Dachverbands der Tunnelbauer ITA (International Tunneling and Underground Space Association) war die STUVA maßgeblich beteiligt und hat in der Geschichte dieses Weltverbandes gleich zweimal den Präsidenten gestellt (Prof. Günter Girnau von 1980 bis 1983 und Prof. Alfred Haack von 1998 bis 2001).
Eines der seit Vereinsgründung gesteckten Ziele der STUVA ist die möglichst lückenlose Verbreitung des eigenen Wissens. Dazu nutzt sie seit 1995 die internationale Fachzeitschrift für unterirdisches Bauen „tunnel“ als offizielles Organ der STUVA. Außerdem publiziert die STUVA in der eigenen Buchreihe „Forschung + Praxis“ wichtige Ergebnisse aus den unterschiedlichsten Forschungsbereichen. Als Heft 54 in dieser Reihe ist beispielsweise im vergangenen Jahr die „Empfehlung für Dichtungsrahmen in Tübbingauskleidungen“ veröffentlicht worden. Das an die jüngsten technischen Entwicklungen angepasste Werk vereinigt die in den Jahren 2005 und 2006 erschienenen STUVA-Empfehlungen „Prüfung und Einsatz von Dichtungsprofilen in Tübbingauskleidungen“ und „Verwendung von Dichtungsrahmen in Tübbingauskleidungen“ und ist für alle Bauherren, Hersteller, Planer und Prüfinstitute eine unentbehrliche Arbeitsgrundlage. Mit ihrem hochspezialisierten Fachwissen ist die STUVA außerdem im Laufe der Jahre an zahlreichen DIN-Normungsausschüssen beteiligt gewesen und wird wegen ihrer Neutralität regelmäßig als Schlichter bei Streitfällen eingeschaltet.
Doch was bedeuten die Erfolge der Vergangenheit und Gegenwart, wenn man nicht an die Zukunft denkt? Deshalb fördert die STUVA seit einigen Jahren verstärkt den Nachwuchs. Mit STUVA-YEP (STUVA Forum for Young Engineering Professionals) hat die STUVA für junge Ingenieurinnen und Ingenieure ein lebendiges Netzwerk geschaffen, das seit seiner Gründung im Jahr 2017 bereits über 300 Mitglieder verzeichnen kann. Regelmäßige Veranstaltungen, wie z. B. Workshops und Baustellenbesuche, bieten den Mitgliedern von STUVA-YEP eine Plattform für die Vernetzung und den Erfahrungsaustausch auf fachlicher, aber auch auf persönlicher Ebene.
Gemeinsam mit dem Nachwuchs will die STUVA den internationalen Tunnelbau und die Verkehrsinfrastruktur auch in den nächsten Jahrzehnten gemeinsam gestalten. Alleine der Kampf gegen den Klimawandel macht einen nachhaltigen Verkehr notwendig. Unsere gemeinsame Zukunft braucht eine intelligente und ressourcenschonende Verkehrsinfrastruktur. Deshalb arbeitet die STUVA konsequent daran, die vielfältigen Anforderungen an Verkehrsangebot, Komfort, Sicherheit, Barrierefreiheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen.
Die STUVA jedenfalls hat die Zukunft fest im Blick – und wird ihr gesammeltes Wissen und ihre Kraft weiterhin für einen am Allgemeinwohl orientierten Verkehr einsetzen. Nichts Anderes kann man von ihr erwarten, denn genau das macht sie jetzt schon seit 60 Jahren.